Was ist eine „Lieferschwelle“?

Lieferschwelle Globus auf PaketenNie war es so einfach, seine Waren deutschlandweit, europaweit und sogar weltweit anzubieten – dem Internet und Amazon sei Dank. Wer bei Amazon seine Händlerplattform eingerichtet hat und an Privatpersonen im europäischen Ausland verkauft, sollte sich aber – am besten jetzt gleich – über die sog. Lieferschwellen informieren. Das gilt insbesondere dann, wenn die Ware nicht in Deutschland, sondern im EU-Ausland gelagert wird. Was eine Lieferschwelle ist und welche steuerlichen Folgen ein Überschreiten hat, stellen wir Ihnen in diesem Beitrag vor.

Grau ist alle Theorie: Was bedeutet „Lieferschwelle“?

Sobald Sie als gewerblicher Händler und Unternehmer Ihre Ware nicht nur innerhalb eines Landes, sondern grenzüberschreitend verkaufen, stellt sich die Frage: Wo muss die Umsatzsteuer gezahlt werden? Ob Umsatzsteuer fällig wird oder nicht, hängt nämlich davon ab, in welches Land Sie versenden und ob Sie an einen Privatkunden oder einen Unternehmer verkaufen.

Bei einem Verkauf an Privatkunden innerhalb der EU sind bestimmte Umsatzhöhen, die sog. Lieferschwellen, zu beachten. Liegen Sie mit Ihren Verkäufen darunter, zahlen Sie die Umsatzsteuer in Deutschland. Überschreiten Sie diese, müssen Sie sich im jeweiligen EU-Land umsatzsteuerlich registrieren, dem Kunden die dortige Umsatzsteuer in Rechnung stellen und an das entsprechende Land abführen.

Für Verkäufe an andere Unternehmer sind die Lieferschwellen nicht relevant, denn Lieferungen an Unternehmer innerhalb der EU sind als innergemeinschaftliche Lieferungen grundsätzlich umsatzsteuerfrei.

Die Lieferschwellen betragen für Lieferungen nach

– Belgien: 35.000 €,
– Bulgarien: 70.000 BGN,
– Dänemark: 280.000 DKK,
– Estland: 35.000 €,
– Finnland: 35.000 €,
– Frankreich: 35.000 €,
– Griechenland: 35.000 €,
– Irland: 35.000 €,
– Italien: 35.000 €,
– Kroatien: 270.000 HKR,
– Lettland: 35.000 €,
– Litauen: 35.000 €,
– Luxemburg: 100.000 €,
– Malta: 35.000 €,
– Niederlande: 100.000 €,
– Österreich: 35.000 €,
– Polen: 160.000 PLN,
– Portugal: 35.000 €,
– Rumänien: 118.000 RON,
– Schweden: 320.000 SEK,
– Slowakei: 35.000 €,
– Slowenien: 35.000 €,
– Spanien: 35.000 €,
– Tschechien 1.140.000 CZK,
– Ungarn: 35.000 €,
– Vereinigtes Königreich: 70.000 GBP,
– Zypern: 35.000 €.

Quelle: 3c.1 Abs. 3 UStAE, gültig ab 1.4.2017

Praxistipp: Lieferschwellen können sich ändern. So wurde zum Beispiel zum 1.1.2016 die Lieferschwelle für Frankreich von 100.000 Euro auf 35.000 Euro gesenkt. Deshalb sollten sich Unternehmer unbedingt laufend über Änderungen informieren, damit sie umsatzsteuerlich auch in Zukunft alles richtig machen.

Und was bedeutet die Lieferschwelle für mein Unternehmen? Einige Fälle aus der Praxis

Fall 1: Versand aus Deutschland an Privatkunden im EU-Ausland

Unternehmer V verkauft Möbel und Wohnaccessoires über Amazon an Privatkunden in Deutschland und im europäischen Ausland, insbesondere nach Österreich und in die Niederlande. V muss bezüglich der Umsatzsteuer auf die Lieferschwellen dieser beiden Länder achten. Sie beträgt für Österreich 35.000 Euro pro Jahr, für die Niederlande 100.000 Euro. Maßgebend sind die Nettoentgelte (ohne Umsatzsteuer) aller Versandhandelslieferungen in das jeweilige Bestimmungsland. Das Warenlager, vom dem aus die Ware versendet wird, befindet sich in Deutschland.

Variante 1: Im Jahr 2017 lagen die Nettoentgelte der Lieferungen nach Österreich bei 28.000 Euro, in die Niederlande bei 65.000 Euro. Die Folge für die Umsatzsteuer: Da für beide Länder die jeweilige Lieferschwelle nicht überschritten wurde, sind die Lieferungen in Deutschland umsatzsteuerpflichtig. V stellt deshalb seine Rechnungen mit deutscher Umsatzsteuer (19 % bzw. 7 %) aus.

Variante 2: V verkauft im Jahr 2017 zusätzlich Ware im Wert von 10.000 Euro an Unternehmer A in Österreich. Hinsichtlich der Lieferschwelle sind diese Lieferungen unbeachtlich, da sie nicht an Privatkunden erfolgten. Die Lieferungen an A sind in Deutschland umsatzsteuerfrei, V muss die Rechnung insbesondere ohne Ausweis von Umsatzsteuer und mit Hinweis auf die Steuerbefreiung nach § 6a UStG ausstellen.

Variante 3: V erhält am 15.1.2018 einen Großauftrag des Privatkunden P aus Österreich, der Ware im Wert von 20.000 Euro bestellt. Ein weiterer Auftrag des Privatkunden R mit einem Umfang von 18.000 Euro ist für Mitte des Jahres angekündigt. V muss im Jahr 2018 ein besonderes Augenmerk auf die Lieferschwelle von 35.000 Euro haben. Denn diese wird spätestens mit dem für Mitte des Jahres geplanten Auftrag überschritten. In diesem Fall gilt: Der Umsatz, mit dem die Lieferschwelle überschritten wird, muss im Bestimmungsland, also Österreich versteuert werden. Die deutsche Umsatzsteuer darf dann nicht mehr auf den Rechnungen auftauchen. Alle nachfolgenden Umsätze werden dementsprechend ebenfalls in Österreich besteuert. Das gleiche gilt für die Umsätze im Folgejahr: V muss also auch seine Lieferungen nach Österreich im Jahr 2019 zwingend der dortigen Besteuerung unterwerfen – selbst wenn abzusehen ist, dass die Lieferschwelle unterschritten wird. Erst wenn V in 2019 die Lieferschwelle tatsächlich unterschreitet, sind die Lieferungen ab dem Jahr 2020 wieder in Deutschland umsatzsteuerpflichtig.

Variante 4: Privatkunde R holt seine Online-Bestellung Mitte 2018 persönlich im Warenlager des V in Deutschland ab und transportiert die Ware direkt nach Österreich. In diesem Fall liegt keine Versandhandelslieferung vor, der Umsatz zählt deshalb für die Lieferschwelle nicht mit.

 

Fall 2: Versand aus einem Amazon-Lager im europäischen Ausland

Unternehmer V nutzt den Paneuropäischen Versand-Service von Amazon. Das bedeutet, die Ware von V lagert nicht in einem deutschen Warenlager, sondern in einem Lager im EU-Ausland, damit die Kunden dort ihre Ware schneller erhalten. Lesen Sie dazu auch unseren Artikel „Einsatz von Amazon-Warenlagern: Was ist zu tun?“.

Variante 1: V verkauft in Frankreich Ware an den Privatkunden S. Amazon versendet diese aus einem französischen Warenlager. Die Lieferschwelle muss V hier nicht beachten, da der Versand innerhalb Frankreichs erfolgt. Auf der Rechnung ist die französische Umsatzsteuer ausgewiesen.

Variante 2: Amazon lagert die Ware von V in verschiedenen Warenlagern in Deutschland, Italien und in Frankreich. Von dort werden regelmäßig auch Privatkunden in Spanien beliefert. Die Nettoentgelte der Lieferungen aus Deutschland betragen im Jahr 5.000 Euro, aus Italien 10.000 Euro und aus Frankreich 21.000 Euro. Für Spanien gilt eine Lieferschwelle von 35.000 Euro. Da die jeweiligen Lieferungen aus den ausländischen Warenlagern zusammengerechnet werden, überschreitet V diese Lieferschwelle. Die Folge: Ab dem Überschreiten der Lieferschwelle muss er alle künftigen Lieferungen in Spanien besteuern, und zwar egal, ob diese dann aus Deutschland, Italien oder Frankreich stammen. Darüber hinaus muss V seine Rechnungen umstellen – und zwar für Deutschland, Frankreich und Italien. Insbesondere muss er darauf achten, dass nun die spanische Umsatzsteuer ausgewiesen wird.

Variante 3: V verkauft Ware, die in Frankreich gelagert wird, an den deutschen Privatkunden D. Auch wenn sowohl Verkäufer als auch Käufer in Deutschland sitzen, muss V auf seinen Rechnungen die französische Umsatzsteuer von 21 % ausweisen – statt der deutschen Umsatzsteuer von 19 %. Das gilt zumindest, solange V die Lieferschwelle nach Deutschland nicht überschreitet oder auf deren Anwendung nicht verzichtet.

Praxistipp: Solange die Ware keinen konkreten Abnehmer hat, sondern nur aus Deutschland in das EU-Ausland umgelagert wird, liegt ein „innergemeinschaftliches Verbringen“ vor. Dieses ist zwar in Deutschland umsatzsteuerfrei, muss aber gegenüber der Finanzverwaltung erklärt und in die Zusammenfassende Meldung an das Bundeszentralamt für Steuern mit aufgenommen werden. Im Land, in dem die Ware gelagert wird, müssen Sie sich steuerlich registrieren und eine Steuererklärung abgeben, denn dort liegt ein „innergemeinschaftlicher Erwerb“ vor. Wenigstens kostet der Sie keine Umsatzsteuer, denn diese dürfen Sie als Vorsteuer abziehen.

Lohnt sich ein Verzicht auf die Lieferschwelle?

Als Versandhändler haben Sie die Möglichkeit, freiwillig vom ersten Euro an zur Besteuerung im Bestimmungsland zu wechseln. Dieses Optieren lohnt sich vor allem dann:

  1. Sie versenden einen Großteil Ihrer Ware nur in ein Land, sodass absehbar ist, dass die Lieferschwelle im Laufe des Jahres überschritten wird.
  2. Der Mehrwertsteuersatz ist im Bestimmungsland niedriger als in dem Land, von dem aus Sie versenden.

Beispiel: In Luxemburg beträgt die Umsatzsteuer 17 %, in Malta 18 % (Standardsatz). In Dänemark und Schweden zahlen Sie dagegen je 25 % Umsatzsteuer, in Ungarn sogar 27 %, in Österreich 20 %. Versenden Sie zum Beispiel Ware von Deutschland (19 %) nach Luxemburg, lohnt es sich, auf die Anwendung der Lieferschwellen zu verzichten. Dagegen sollten Sie bei einem Versand von Österreich nach Ungarn auf die Einhaltung der Lieferschwelle achten. Ansonsten gilt die höhere Umsatzsteuer Ungarns.

Fazit

Hier lauern doch so einige Tücken. Ohne ausführliche steuerliche Beratung sollte kein Unternehmer in das Abenteuer grenzüberschreitender Versandhandel und Vertrieb über Amazon starten. Die Risiken, umsatzsteuerlich etwas falsch zu machen, sind einfach zu groß.

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