Scheinselbstständigkeit: Schnell raus aus der Haftungsfalle

Seit dem 1. April 2017 gelten neue Regeln, um Selbstständige von Arbeitnehmern zu unterscheiden. Damit will die Bundesregierung den Missbrauch der Scheinselbstständigkeit bekämpfen. Der große Wurf ist ihr dabei nicht gelungen. Denn im Gesetz steht nur, was die Gerichte ohnehin schon entschieden haben. Worauf es für Unternehmer und Selbstständige jetzt ankommt, erfahren Sie hier.

Der Kostendruck in den Unternehmen steigt unaufhaltsam. Davon versuchen sich Unternehmer zu befreien, indem sie fest angestelltes Personal reduzieren. Auf diese Weise sparen Unternehmer jährlich Milliarden Euro an Lohnsteuern und Sozialabgaben für Rente, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Im Anschluss an diese Schrumpfkur werden dann externe Dienstleister angeheuert. Denn die Aufträge müssen ja nach wie vor ausgeführt werden. Im Unterschied zu den fest angestellten Mitarbeitern stellen die Neuen eine Rechnung, von denen die Unternehmer die Mehrwertsteuer abziehen und das Honorar unter Betriebsausgaben buchen kann.

Vorsicht vor Milchmädchenrechnungen

Von der Hotel- und Gaststättenbranche über das Transportgewerbe bis hin zum Bausektor und der Fleischindustrie wird allzu gern an dieser Kostenschraube gedreht. Das geht meistens so lange gut, bis eines Tages die Finanzkontrolle Schwarzarbeit vom Zoll vor der Tür steht. Denn Unternehmen, die Scheinselbstständige beschäftigen, sind selbst Teil der Schattenwirtschaft. Auf diese Weise gehen dem Staat nach konservativen Schätzungen jährlich rund drei Milliarden Euro Sozialabgaben verloren. Nahezu jeder vierte Selbstständige soll mittlerweile scheinselbstständig sein. Entsprechend scharf sind die Finanzkontrollen der Betriebsprüfer und die daraus resultierenden Sanktionen. Bis zu vier Jahre zurück muss der Unternehmer die vorenthaltenen Sozialabgaben nachzahlen – plus Zinsen und Säumniszuschläge. Und das auf einen Schlag und meistens ohne Aufschub. Für Unternehmen ohne ausreichende Rücklagen kann das den finanziellen Ruin bedeuten. Dazu kommen unangenehme Fragen vom Staatsanwalt. Denn der Sozialversicherungsbetrug steht unter Strafe.

Unternehmen sehen weg

Trotz aller Warnungen schauen die Unternehmen lieber weg, als die Ursachen zu beseitigen. Teilweise wird auch das Entdeckungsrisiko verharmlost. Doch wer glaubt, Scheinselbstständigkeit sei allein ein Problem von Bauarbeitern und dubiosen Subunternehmern, hat die Tragweite des Problems nicht erkannt. So ging es auch zwei Zahnärzten, die sich in einer Gemeinschaftspraxis zusammenschlossen. Laut Gesellschaftsvertrag erhielt die Zahnärztin 30 Prozent ihrer Honorare. Die Praxiseinrichtung gehörte allein ihrem Partner, der den übrigen Überschuss aus den Einnahmen einstrich, nachdem er von diesen Einnahmen sämtliche Praxisausgaben beglichen hatte. Dazu gehörten unter anderem die Miete, der Unterhalt der Praxis und die Personalkosten. Die beiden Vertragspartner legten fest, dass sie gleichberechtigt und einander nicht weisungsbefugt seien.

Nicht am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt

Doch davon ließ sich der zuständige Sozialversicherungsträger nicht blenden. Nach einer Betriebsprüfung forderte er den Arzt dazu auf, für die Ärztin rückwirkend Sozialabgaben in Höhe von 13.000 Euro zu zahlen, da sie abhängig beschäftigt sei. Der Fall ging hoch bis vor das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 23.11.2016, Az.: L 5 R 1176/15). Die Sozialrichter gingen ebenfalls von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis aus. So trage die Zahnärztin kein wirtschaftliches Risiko und sei auch nicht am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis beteiligt. Hinsichtlich der Sprechzeiten und der Urlaubsplanung müsse sie sich mit dem Zahnarzt und dem übrigen Praxispersonal absprechen. Erkranke sie länger als sechs Wochen, habe ihr Kollege die Befugnis, zu Lasten ihres Gewinnanteils einen Vertreter einzustellen. Umgekehrt gelte diese Regelung jedoch nicht, monierte das Gericht.

Kritierenkatalog nicht im Gesetz gelandet

Um in der Praxis mehr Rechtssicherheit zu erzielen, wer Angestellter ist und wer Selbstständiger, hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ursprünglich einen Kriterienkatalog ausarbeiten lassen. Danach sollte ein Mitarbeiter scheinselbstständig sein, wenn er

  1. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten,
  2. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
  3. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
  4. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
  5. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
  6. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
  7. Leistungen ohne vereinbartes Arbeitsergebnis oder geschuldeten Arbeitserfolg und ohne Gewähr erbringt.

So hilfreich die Kriterien im Einzelfall auch sein mögen – letztlich fanden sie keinen Eingang in das Gesetz. Denn der Status eines Mitarbeiters kann nicht durch Addition der richtigen Antworten ermittelt werden, sondern erfordert immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Und in letzter Konsequenz können das nur die Gerichte entscheiden.

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Zirkusartisten sind keine Arbeitnehmer

Das zeigt auch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (vom 11. August 2015, Az.: 9 AZR 98/14), in dem es um den Sozialstatus einer Artistengruppe ging. Diese verpflichteten sich in einem „Vertrag über freie Mitarbeit“, für den Zirkus eine „Hochseil- und Todesradnummer“ aufzuführen. Ein Artist verunglückte während der Premierenveranstaltung. Als die übrigen Mitstreiter in der Folgezeit erfuhren, dass der Zirkus sie nicht zur Krankenversicherung angemeldet hatte, weigerten sie sich aufzutreten. Der Zirkusunternehmer nahm dies zum Anlass, den Vertrag mit der Zirkusgruppe fristlos zu kündigen. Die Artisten erhoben dagegen eine Kündigungsschutzklage  – ohne Erfolg. Der Vertrag über freie Mitarbeit enthalte kein Weisungsrecht des Zirkus gegenüber den Artisten, meinte das Gericht. Deshalb seien sie keine Arbeitnehmer.

Grad der persönlichen Abhängigkeit entscheidend

Hätten die Bundesarbeitsrichter den Kriterienkatalog von Andrea Nahles zugrunde gelegt, wären die Artisten glatt als Scheinselbstständige durchgegangen. Denn nahezu alle Kriterien sind in diesem Fall erfüllt. Zugleich betonten die Bundesarbeitsrichter, dass sich ein Arbeitsverhältnis von der freien Mitarbeit durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit unterscheidet, in der sich der Mitarbeiter befindet. Arbeitnehmer ist danach, „wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.“ Mit anderen Worten: Es reicht nicht aus, wenn im Vertrag drinsteht, dass eine Mitarbeit selbstständig ist. Selbstständig ist eben nur, wer im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten kann.

Selbstanzeige nur mit einem erfahrenen Berater

Genau das hat der Gesetzgeber statt des obigen Kriterienkatalogs seit dem 1.4.2017 in das Gesetz hineingeschrieben. Doch was heißt schon weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit? Ist der IT-Berater, der auf unbestimmte Zeit im Büro des Kunden sitzt, um Hard- und Softwarelösungen zu erweitern, fremd- oder selbstbestimmt? Und wie ist es mit dem selbstständigen Schlachter, der in einem Schlachthof Schweinehälften zerlegt? Sie merken schon: Das kann man so oder auch anders sehen.  Für Sie als Unternehmer bleibt es also leider bei der bisherigen Rechtsunsicherheit. Um dieses Risiko zu vermeiden, sollten Sie sich grundsätzlich an die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung wenden, um den Sozialstatus einzelner Mitarbeiter verbindlich abklären zu lassen.

Am besten Sie holen sich dabei Hilfe von einem Experten. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass sich die Selbstanzeige als Bumerang erweist, weil bis zu vier Jahre Sozialversicherung nachgezahlt werden müssen. Anders als im Steuerrecht gibt es nämlich im Sozialrecht keine Amnestie für Selbstanzeiger. Durch entsprechende Vertragsumstellungen lassen sich aber evtl. Nachzahlungen vermeiden. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Finanzämter an die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung nicht gebunden sind. Hier muss der Berater also für eine möglichst einheitliche Lösung kämpfen.

Scheinselbstständigkeit vermeiden - so geht's!